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Mainzer Strasse. Die letzen drei Tage

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March 3, 2007
Mainzer Strasse Raeumung – Der erste Tag

Als Klaus Peter gegen 17.00 Uhr am U-Bahnhof Samariterstrasse die unterirdische Welt verliess, herrschte an der Oberflaeche bereits Ausnahmzustand. Harry, welcher in der Mainzer Strasse wohnte und zu Klaus Peters engerem Umfeld gehoerte, kam ebenfalls gerade von der Arbeit und war aehnlich ueberrascht. Gemeinsam versuchten sie die Lage einzuschaetzen und kamen zu keinem richtigen Ergebnis. Die Bullen waeren wohl ohne ersichtlichen Anlass in die Strasse gefahren und haetten die Bewohner so lange provoziert, bis diese sich adaequat verhielten. Von einer Raeumungsabsicht seitens der Ordnungsmacht konnte jedoch zu dieser Zeit noch keine Rede sein, oder sie waren ausgesprochen stuemperhaft vorbereitet. Das, was sich zu diesem Zeitpunkt in der Mainzer und den anliegenden Strassen abspielte, war auch kein echtes Riot, sondern hatte den Charakter emsigen Treibens mit leichter Tendenz zum Tumult. Polizei war zwar zu sehen, hielt sich aber eher zurueck und beobachtete, wie die Mainzer Strasse mit zum Teil schwerem Baugeraet in eine Kraterlandschaft verwandelt wurde. Bei gutem Licht kann man das uebrigens heute noch an den Unebenheiten im Kopfsteinpflaster der Strasse sehen. Klaus Peter beschloss also zunaechst in das Haus zu gehen, in welchem er damals wohnte und dass etwas abseits vom Zenit des Geschehens lag. Um ehrlich zu sein, lag es damals so weit abseits, dass es den ‘echten’ Hausbesetzern weitgehend unbekannt war und es auch nicht als vollwertiger Teil der Szene betrachtet wurde. Was aber niemanden der Bewohner dieses Hauses oder gar Klaus Peter, der die Hausbesetzerszene natuerlich verachtete, wirklich stoerte. Erst mit den tragischen Ereignisses um den Mord an Silvio Meier aenderte sich der Bekanntheitsgrad des Hauses und seiner Bewohner. Seine Mitbewohner sassen gerade in der Kueche und machten eigentlich nichts, was Klaus Peter irgendwie beruhigte. Bereits damals gab es mehrere Fraktionen in diesem Haus, die eine Fraktion, zu der Klaus Peter gehoerte und welche sich spaeter erneut spalten sollte, beteiligte sich an solchen Veranstaltungen, wie sie sich offensichtlich auf der anderen Seite der Frankfurter Allee anbahnte. Nach einiger Zeit ging man nun in die Richtung Mainzer und stellte fest, dass sich das Bild mit der nun einsetzenden Dunkelheit doch erheblich gewandelt hatte. Polizeikraefte bemuehten sich ernsthaft in die Strasse einzudringen und wurden ebenso ernsthaft zurueckgedraengt. An den Strassenkreuzungen rund um die Mainzer Strassen brannten Barrikaden, diese waren teilweise so massiv, dass polizeiliche Raeumpanzer in ihnen stecken blieben. Zumindest an der Ecke Colbestrasse ist dies beweissicher passiert. Es sind also nicht solche Hindernisse gewesen, die heute zum Beispiel bei Naziaufmaerschen in den Weg geworfen werden und aus zwei alten Kisten und einem umbekippten Strassenschild bestehen. Auf der anderen Seite, naemlich Ecke Boxhagener wurde irgendwann eine Strassenbahn angehalten und als Barrikade benutzt. Eine polizeitaktische Massnahme bestand hier darin, die Strasse mit einer Art Gleitgel zu bespruehen, was allerdings zur Folge hatte, dass sich die eingesetzten Polizisten auch nicht mehr zu Fuss bewegen konnten. Sie fuhren eigentlich nur laengere Zeit die Boxhagener Strasse hinauf und hinunter und wurden von allen Seiten beworfen. Die groesste Ueberraschung fuer Klaus Peter war an diesen Szenen, dass die, die da auf die Ordnungsmacht warfen, keinesfalls nur Hausbesetzer waren, sondern eigentlich eher vollkommen ‘normale’ Friedrichshainer Bevoelkerung. Auch wenn es heute haeufig anderes dargestellt werden mag, die Polizei hatten eine bunte Mischung unterschiedlicher sozialer Schichten gegen sich. Vielen ging es sicherlich darum, einfach mal ordentlich auf die Kacke zu hauen oder irgendwie ihrem Wendefrust Ausdruck zu verleihen und nur ganz wenige waren wirklich politisiert. Natuerlich gab es auch gegenteilige Beispiele, so erschien ein Mann mit zwei seiner Kollegen vor Klaus Peters Bezugsgruppe und bezichtigte diese faelschlicherweise der Anzuendung seines Pkw. Was natürlich Unfug war und in dem anschließenden Handgemenge auch verdeutlicht wurde. Etwa zur gleichen Zeit versuchten Zivilbamten einen bekannten Autonomen in einen Hausflur zu ziehen, was aber verhindert werden konnte. ‘Bekannt’ ist uebrigens nicht positiv gemeint. Es war eine vollkommen unübersichtliche Situation, was die Polizei dazu nötigte, ca. gegen 0.30 Uhr den Bereich weiträumig zu verlassen und sich bis hinter das Kino Kosmos zurückzuziehen. Es ist davon auszugehen, dass die Fuehrung der Berliner Polizei nicht mit diesem massiven Widerstand gerechnet hatte, da die linke Szene zu diesem Zeitpunkt bereits handlungsunfaehig war. Was die Theorie des ‘Kiezaufstandes’ beweisen koennte, natuerlich nicht muss. Nach deren Abrücken wurden fast alle Geschaefte in der Frankfurter Allee geplündert, was den proletarischen Charakter der Riots ebenfalls unterstreichen koennte – ‘echte’ Hausbesetzer plünderten nicht. Dem Vernehmen nach hatten diese sich auch zu einem nicht unerheblichen Teil bereits am Nachmittag verpisst, zumindest in der benachbarten Strasse mit ebenfalls etlichen besetzten Haeusern ist das auch bewiesen. Ein damaliger Freund von Klaus Peter wurde durch einen Stein von hinten am Schulterblatt verletzt, sonst gab es keine bekannten ‘Verluste’ aus diesem Tag.

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March 9, 2007
Mainzer Strasse Raeumung – Der zweite Tag

Der zweite Tag nimmt nur wenig Raum in Klaus Peters Erinnerung ein. Es passierte auch nichts wirklich Spektakulaeres. Klaus Peter blieb der Lohnarbeit unentschuldigt fern, da eine sehr angespannte Stimmung herrschte. Die Polizei hatte sich weit zurueckgezogenund war fast vollkommen aus Friedrichshain verschwunden. Neben vielen anderen haarstraeubenden Geschichten machten aber Geruechte die Runde, dass sich lange Schlangen von Polizeifahrzeugen aus Westdeutschland ueber dieAutobahnen auf Berlin zubewegten. Auch wurde gemunkelt, dass die Bundeswehr zum Einsatz kommen sollte. Man ging davon aus, dass die Staatsmacht die Niederlage vom Vorabend nicht hinnehmen konnte und mit grosser Haerte zurueckschlagen musste. Das erschien auch Klaus Peter zwangslaeufig und absolut unausweichlich. Zur Kommunikation zwischen den besetzten Haeusern existierte uebrigens eine Richtfunkstrecke mittels CB-Funk. Das war alles. Es gab natuerlich noch kein Handy, Internet und auch nur ganz selten Festnetz-Telefonanschluesse. Innerhalb dieser Kommunikationskette wurden vermutlich auch Informationen verfaelscht wiedergegeben. Klaus Peter verbrachte einigen Stunden damit, hastig verfasste und kopierte Flugblaetter mit einer Freundin und einem Freund am S-Bahnhof Frankfurter Allee zu verteilen. Damals gab man sich wohl der Illusion hin, die Bevoelkerung in den ‘Widerstand’ assimilieren zu koennen. Auf den Flugblaettern versuchte man sich vermutlich als friedliche alternative Unterschicht darzustellen, welche in ihrem legitimen Recht auf unbezahltes Wohnen und der Suche nach kulturellen Freiraeumen oder einfach auch nur bei der Herstellung von Fischstaebchen aus Miethaien von blutruenstigen Polizeimonstern oder anderen ‘Handlangern der Spekulanten’ bedraengt wird. Was natuerlich nicht die hundertprozentige Wahrheit war, aber sich ideologisch einfach besser verkaufen liess. Da die Vereinigung der beiden deutschen Staaten offiziell erst einige Tage zuruecklag, fuehlte man sich ausserdem als Sprachrohr der geknechteten und unterworfenen Ostbevoelkerung, ein Argument, welches paradoxerweise gern von Szeneaktivisten aus dem Nichtanschlussgebiet vorgetragen wurde und welches der Ostbevoelkerung auch nicht unbedingt nachvollziehbar erscheinen konnte. Eine weitere Theorie ging davon aus, dass die Westberliner Polizeifuehrung mit harter Hand durchgriff, da sie erst kurz zuvor die Polizeihoheit auch ueber die oestlichen Stadtteile uebergeben bekommen hatte und nun den teilweise rechtsfreien Zustaenden unter anderem in der Mainzer Strasse ein Ende bereiten wollte. Man vermutete einen Konflikt zwischen den Polizeioberen und dem Senat, welcher aus SPD und Gruenen bestand. Einige Lokalpolitiker , unter ihnen auch der Bezirksbuergermeister Mendiburu erschienen an der Mainzer Strasse und ergriffen Partei fuer den Teil der dortigen Bewohner, welcher sich von jeglicher Gewalt distanzierte. Ein kurzer Tumult entstand, als Klaus Peters damaliger und langjaehriger privater Nazifeind Rene B. ( vita: Jungvolkhaus Weitlingstrasse -> Nationale Alternative -> BFC Hooligan -> Blood & Honour -> moechtegern-criminal -> jva moabit -> die vandalen -> aus den augen verloren) in Begleitung zweier vermutlicher Gesinnungskollegen auftauchte, allerdings zuegig das Weite suchte. An den Barrikaden rund um die Mainzer Strasse wurde weiter gebastelt. An der Ecke zur Frankfurter Allee tuermte sich mittlerweile ein mehrere Meter hohes Hindernis auf. Dabei wurde peinlich genau auf das Freilassen von kleinen , aber ausreichenden, Passagen fuer die Bevoelkerung geachtet, was sich spaeter als strategischer Nachteil herausstellen sollte. Alles wartete auf die naechsten Tage.

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March 17, 2007
Mainzer Strasse Raeumung – Der dritte Tag

So gegen 5.30 Uhr kam Silvio Meier in Klaus Peters Zimmer : ‘Sie kommen’ . Das war wohl der Spruch, welcher zu diesem Zeitpunkt in den meisten damals noch besetzten Haeusern zu hoeren gewesen sein wird. In der Mainzer Strasse angekommen, musste Klaus Peter feststellen, dass die Unterstuetzung sehr viel geringer als erwartet war. Verhaeltnismaessig wenige Leute hatten den Weg hierher geschafft. Die Frankfurter Allee war zu diesem Zeitpunkt wie ausgestorben. Was sich wenig spaeter aendern sollte. Der bis dahin wohl groesste Polizeieinsatz der deutschen Nachkriegsgeschichte begann. Gas- und Blendschockgranaten wurden massenhaft in die Strasse geschossen, die Daecher wurden von Sondereinheiten der Polizei besetzt. Mit Metallplatten als Schutz ueber den Koepfen arbeiteten sich die Polizisten unaufhaltsam ueber die Fussgaengerpassagen an den Barrikaden vorbei vor und drangen zuegig in die Strasse ein. Ein damaliger Freund von Klaus Peter wurde dabei durch Schuesse verletzt. Klaus Peter selbst entkam in in ein Haus, und konnte die Tuer zu diesem gerade noch verschliessen, bevor die direkt folgenden Polizisten eindringen konnten. Wobei dieses Sicherheit relativ truegerisch war, da bereits die ganze Gegend besetzt und es kein Entkommen aus diesem Haus mehr geben konnte. Der groesste Teil von Klaus Peters Mitbewohnern konnte uebrigens ueber einen anderen Hof entkommen und wurde von einem Anwohner bis zum Abend in seiner Wohnung versteckt und konnte sich so dem Zugriff entziehen. Neben Klaus Peter befanden sich noch ca. 20 anderen Personen in dem Haus. Man sass zusammen in einem Zimmer im 3. Stock und hatte Angst vor dem, was kommen sollte. Irgendwann hoerten sie starke Geraeusche aus dem Erdgeschoss, welches vom Splittern der Haustuer verursacht wurden. Das Haus wuerde von einer Polizeieinheit gestuermt, welche offensichtlich aus sehr jungen Nachwuchskraeften bestand und sich absolut korrekt gegenueber den darin befindlichen Verteidigern benahm. Waehrend Faelle von Misshandlungen und Uebergriffen von anderen Festgenommenen bekannt sind, lief hier alles vollkommen im rechtsstaatlichen Rahmen ab. Klaus Peter wurde wie alle anderen auch auf den Hof gefuehrt und dort durchsucht. Auf Grund seines smarten Outfits und der Tatsache, dass er sich vorher natuerlich von allen verdaechtigen Gegenstaenden entledigen konnte, wurde er einer Gruppe zugeordnet, welche offensichtlich als wenig gefaehrlich eingestuft und wenig bewacht wurde. Mehrere Personen konnten an dieser Stelle jetzt noch fluechten, in dem sie unbemerkt durch in ein Kellerfenster krochen. Der Rest wurde einzeln ueber die Mainzer Strasse, welche jetzt von unzaehligen Polizisten wimmelte, in Richtung Frankfurter abgefuehrt. Dabei Klaus Peter von einem Pressefotografen einer grossen Boulevardzeitung fotografiert, auf dieses Foto sollte er noch 10 Jahre spaeter angesprochen werden. Ausserdem entliess sein damaliger Arbeitgeber ihn auf Grund dieses untrueglichen Beweises fuer die Ursache seines Fehlens vom Arbeitsplatz fristlos. Die Festgenommenen, unter denen sich Klaus Peter befand, wurden bis in die Nacht in der Polizeiwache Ruhleben festgehalten, wobei die dortigen Beamten deutlich ueberfordert wirkten. Einzeln entlassen, wurde Klaus Peter von zwei freundlichen Frauen vom ‘Ermittelnden Ausschuss EA’ zurueck nach Friedrichshain gefahren. Die Mainzer Strasse war geraeumt und sollte noch monatelang von der Polizei besetzt bleiben, bevor sie saniert und regulaer vermietet wurde.